Wanderjahre - Walkabout - Austauschjahr

Heldenreisen helfen beim Erwachsenwerden

Für einen allein reisenden und auf sich gestellten Jugendlichen kann ein Austauschjahr viele Probleme, Gefahren und Hindernisse bergen - und das ist auch gut so.

Erwachsenwerden heißt, Hindernisse selbst zu meistern und Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Wer erwachsen und wer Kind ist, bestimmte sich in der Vergangenheit häufig durch klare, mit Ritualen einhergehende Grenzen. Heute existieren viele der alten Übergangsrituale nicht mehr und die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter verschwimmen. Wohl auch ein Grund, weshalb sich viele Jugendliche eigene Grenzerfahrungen suchen: Bungee-Jumping, DSDS, Extremsportarten, sich piercen oder tätowieren lassen, aber auch Drogenkonsum, Komasaufen und Mutproben aller Art.

Genau deshalb ist das Austauschjahr eine lohnende Alternative. Denn es ist die moderne Variante alter Initiations- und Heldenreisen wie zum Beispiel den Wanderjahren oder dem Walk About.

Die Wanderjahre der Handwerksburschen im Mittelalter

Als im späten Mittelalter die Zünfte ihre Handwerksburschen "auf die Walz" schickten, ahnte noch keiner, dass dieser Brauch bis heute existiert und dass es so manche Regel in das moderne Modell der Berufsausbildung schaffen würde.

Drei Jahre dauerte eine solche Wanderschaft, zu der die Gesellen nach abgeschossener Lehre verpflichtet waren. Und Meister seiner Zunft konnte nur werden, wer sich auch in der Fremde verdient gemacht hatte.

So zogen die Burschen von Stadt zu Stadt - von Bauprojekt zu Bauprojekt. Oft wanderten sie dabei sogar durch mehrere Länder. Fanden sie Arbeit in einem Meisterbetrieb ihrer Zunft, blieben sie dort ein halbes Jahr, um dann weiter zu ziehen und bei einem neuen Meister Erfahrung zu sammeln.

Anfangs ging es noch darum, den heimischen Meistern die Gesellen als Konkurrenz vom Halse zu halten. Denn während der Walz war es den jungen Männern nicht gestattet, ihren Heimatort zu besuchen. Dann aber lernte man in der Heimat die erweiterten Kompetenzen der rückkehrenden Gesellen für die eigene Wirtschaft zu schätzen. Heute gibt es schätzungsweise um die 10.000 Wandergesellen.

Der Walk About der australischen Aborigines

Bereits vor über 30.000 Jahren schickte der australische Stamm der Aborigines die 13-jährigen Söhne hinaus in die Wildnis. Da die Aborigines vor allem ihr Wissen mündlich weitervermitteln, sollte so ein Walk About den Jungen vor allem dabei helfen, der realen Welt zu begegnen und das Wissen physisch zu erproben. Ziel war es: Den Traum von der physischen Wirklichkeit wirklich unterscheiden zu können.

Kommt nun der Tag des Walk About, werden die Jungen von den Männern aus dem Dorf gebracht und in die Wildnis geleitet. Über Wochen und Monate sind diese vollkommen allein der Natur ausgeliefert. Dort müssen sich bewähren. Anfangs laufen sie noch ziellos hinaus. Doch, so sagt es die Überlieferung, auf ihre Reise durch die Wüste und unwegsame Wildnis würden die Jungen in der stillen Einsamkeit mit den Geistern in Verbindung treten können. Diese würden ihnen bei den neuen Aufgaben helfen und die Jungen am Ende wieder sicher nach Hause geleiten.

Bedeutung für Heranwachsende

Die ethnologische Forschung hat gezeigt, dass in allen archaischen Kulturen und deren Übergangsritualen immer wieder das Modell der Heldenreise auftaucht. Der Held zieht hinaus in die weite Welt, um ein Abenteuer zu bestehen, den heiligen Gral zu suchen oder den Drachen zu töten. Allein und auf sich gestellt, muss er selbst Mittel und Wege finden, um sich zu behaupten. Bei seiner glücklichen Rückkehr ist ihm nicht nur die Anerkennung seiner Leute garantiert. Darüber hinaus erhält er einen festen Platz in der Gemeinschaft und gleiche Rechte.

Dem Leben als einer existenziellen Erfahrung zu begegnen, sich für kommende Aufgaben neu zu orientieren und durch eine bestandene Prüfung in einen neuen Lebensabschnitt überzuwechseln: Ohne diese Herausforderung, wäre kein Mensch imstande, sich in einem sozialen Kontext zu bewegen. Jugendliche brauchen die Gewissheit, es auch ohne die Eltern schaffen zu können. Nur so können unsere Kinder wirklich Verantwortung übernehmen - für sich und für andere.

Wer also für sein Kind genau diese Herausforderung möchte und dabei ein gewisses Maß an Sicherheit und Mitgestaltung wünscht, kann mit einem Austauschjahr die berühmten sieben Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn ein gut organisierter Schüleraustausch bietet alle Stationen einer wahren Heldenreise für alle Beteiligten.