Moose River Bow Trip - Wildes Kanada

Jonathan aus Hückeswagen machte sich mit 15 Jahren auf das erste große Abenteuer seines Lebens. „Ich wollte mal etwas anderes sehen und erleben“, antwortet der heutige 16-Jährige auf die Frage, warum er sich für ein Austauschjahr entschieden hatte. Ihn verschlug es mit wenig Fremdsprachenkenntnissen in die französischsprachige Staat Quebec in Kanada.

Jonathan aus Hückeswagen machte sich mit 15 Jahren auf das erste große Abenteuer seines Lebens. „Ich wollte mal etwas anderes sehen und erleben“, antwortet der heutige 16-Jährige auf die Frage, warum er sich für ein Austauschjahr entschieden hatte. Ihn verschlug es mit wenig Fremdsprachenkenntnissen in die französischsprachige Staat Quebec in Kanada. Direkt am ersten Abend landete er in einer großen Familienfeier seiner Gastfamilie, weshalb der Schüler aus einem Örtchen in der Nähe von Köln sofort alle Sprechhemmnisse über Bord werfen musste.

Zu den eindrücklichsten Erlebnissen in seinem Austauschjahr gehörte der dreitägige Moose River Bow Trip, der obligatorisch für jeden Schüler ist. In Kanada gehen Jugendliche auf eine Ganztagsschule, der Kontakt zwischen den Schülern und Lehrern ist eng – Ausflüge wie solche versprechen Spaß. Deshalb fand sich Jonathan an einem Mai-Wochenende im vergangenen Jahr im Auto seines Lehrers wieder, um mit ihm und Freunden einen Trip in den rauen Norden der Vereinigten Staaten zu starten.

Der “Canot-Camping”- Ausflug meiner Schule sollte mich und 15 weitere Schüler nämlich für drei Tage in den US-Bundesstaat Maine entführen, wo wir in drei Tagen eine Kanu-Route von 50 Kilometern bewältigen sollten. Dieser Trip, offiziell auch “Moose River Bow Trip” genannt, bezeichnet eine Route über zwei große Seen und den Fluss, der diese beiden Seen verbindet; Jegliche Spuren von Zivilisation bleiben mit Anhänger und Autos am Ablegeort zurück.

In vier Privatautos der Lehrer geht es in anderthalb Stunden zur US-amerikanischen Grenze. Ausflüge und die gemeinsame Gestaltung von Freizeit, auch mit den Lehrern ist in kanadischen Schulen keine Seltenheit. Die Schüler sind sehr frei in der Wahl ihrer Hobbies und können ihren eigenen Interessen nachgehen. Jonathan hat sich in seinem Austauschjahr in allen Sportarten probiert, hat als langjähriger Klavierspieler kleinere Konzerte gegeben und konnte so schnell neue Kontakte knüpfen.

Der deutsche Austauschschüler hat den Elchtest bestanden

Die Grenzüberquerung ist, neben einem kleinen technischen Problem, kein größerer Akt. Die Straße ist inzwischen nur noch ein schwarz-grauer Streifen in einem Nordamerikanischen Urwald und alles was das Tempolimit rechtfertigt sind die Schilder, die auf überquerende Elche hinweisen. Natürlich kenne ich als Deutscher derartige Schilder von überquerenden Elchen nur aus Film und Fernsehen und einen freilebenden Elch habe ich Zeit meines Lebens noch nicht ins Blickfeld bekommen. Dementsprechend schenke ich den Hinweistafeln wenig Aufmerksamkeit und diskutiere mit meinen Mitreisenden über alles, was uns gerade in den Sinn kommt, bis ich noch aus dem Augenwinkel die enorme Elchkuh am Straßenrand ausmache. Und als hätte sich diese gedacht, dass ich doch als Ausländer immerhin einen Elch im Ganzen zu Gesicht bekommen müsste, sehe ich schon wenige Minuten wieder eines dieser immensen Tiere, doch dieses Mal nicht am Straßenrand: In aller Seelenruhe überquert dieser Elch die Straße, bleibt mittig auf ihr stehen und blickt uns an, als wäre eine Transitstraße für ihn der sicherste Ort der Welt.

Soviel zu ungewöhnlichen Erlebnissen in der rauen Wildnis. In den zivilisierten Städten Kanadas kann man sich als Deutscher jedoch recht schnell orientieren. Québec liegt im Osten Kanadas direkt zwischen der Hudson Bay und der Grenze zu den USA. Rund 8 Millionen Menschen leben in der größten Provinz Kanadas, in der sowohl Englisch wie auch Französisch Amtssprachen sind. Jonathan lebte in der Hauptstadt der Provinz, die den gleichen Namen trägt und rund 500.000 Einwohner hat.

So ein Paddelboot wiegt doch nichts – oder?!

In kurzer Zeit erreicht der Trupp die Stadt Jackman, der Ausgangspunkt für den eigentlichen Paddeltrip. Am See angekommen, das Gepäck eingeladen und bereit zum Starten stellt sich raus, dass das Paddeln zu Beginn gar nicht so einfach ist. Etwas hilflos und von der Steuertechnik überfordert paddelt Jonathan und andere Beginner kreuz und quer vor sich hin und landet nicht selten am bewachsenen Ufer.

Doch mit der Zeit gewöhnen wir uns an das Paddeln im Takt und an die Bewegungen, die das Kanu nach rechts oder links ausschlagen lassen. Nach dem Mittagessen warten noch weitere 12 Kilometer Kanureise auf uns und während wir uns immer mehr an unser schwimmendes Gefährt gewöhnen, paddeln wir im Schatten der den See umgebenden Berge von einer Seite dieses letzteren zur anderen Seite. Dort angekommen wartet nun die vielleicht anstrengendste Passage unserer Reise auf uns: Das gesamte Material, sprich die persönlichen Rucksäcke, die Zelte, die Eimer mit Verpflegung und die großen Kanus, wollen über eine Strecke von zwei Kilometern über Stock und Stein quer durch den Wald getragen werden. Mein Partner und ich unterschätzen dies natürlich sofort und so packen wir unser Kanu mit unserem Anteil des Materials voll, satteln uns die Rucksäcke auf den Rücken und packen das Kanu an seinen Griffen an Bug und Heck. Schon nach wenigen hundert Metern haben wir mehrere Bäume und Steine abgeräumt und auch unsere Hände spielen nicht mehr so ganz mit, doch wir versuchen es auf diese Weise bis zum bitteren Ende unserer Kräfte – der Hälfte des Weges.

Jonathan schafft den restlichen Weg – und kehrt gleich wieder um, denn jetzt laufen alle zum Ausgangspunkt zurück um die restlichen Sachen zu holen. Insgesamt läuft Jonathan drei Mal auf dem Weg und beißt die Zähne zusammen. Heulen geht nicht, denn sein 50-Jähriger wetzt im Stechschritt an ihm vorbei und lässt ihm keine Chance.

Tolles Panorama beim Zähneputzen entschädigt für alle Mühen

Unser Lager schlagen wir am Ufer des zweiten Sees auf, den wir am darauffolgenden Tag überqueren sollten. Die Stimmung war trotz einer gewissen Erschöpfung über den gesamten Abend gut und während mein Mathelehrer seine Kochkünste auf einem Camping-Herd beweisen konnte, scherzt man am Tisch über alles und jeden und wartet mit knurrendem Magen auf die Mahlzeit.
 Um 21 Uhr kehrte Ruhe im Lager ein und nur noch das Schnarchen unseres Ethiklehrers hallte hinaus in die Nacht.

Der See liegt am nächsten Morgen wie ein enormer Spiegel vor den Paddlern und während sich die Sonne langsam über die Berggipfel erhebt putzt sich der deutsche Schüler die Zähne am Seeufer und genießt die Aussicht über die Wasseroberfläche. Schon um 8 Uhr am Morgen bricht der Schultrupp auf um weitere 15 Kilometer hinter sich zu bringen. Und während sie den zweiten See überqueren unterhält der Sportlehrer, der mit einer starken Sängerstimme Stücke von Adele, Frank Sinatra und mit frankophonen Klassikern wie “Dégénération” interpretiert, die komplette Gruppe.

Ein entspannter Schulausflug wie es in Deutschland nicht möglich wäre

Sobald wir den See hinter uns gelassen haben scheint das Flusswasser geradezu nach Wasserschlachten zu schreien! Während man das Kanu des Sportlehrers noch hinter der nächsten Flussbiegung verschwinden sieht, um sich im Schilf zu retten und das Kanu des Ethiklehrers den Rückwärtsgang einlegt, muss das Mathegenie von Lehrer dran glauben und als wir zum Mittagessen anhalten, sind alle Teilnehmer nass bis auf die Knochen. Das Panorama hatte inzwischen gewechselt, und nach den großen Seen und dem Flussdelta mit Schilf und Gräsern finden wir uns nun auf einem Fluss wieder, der den dichten Wald durchquerend auf das Gebirge am Horizont zusteuert. Wie auch am Vorabend schlafe ich aufgrund der enormen Erschöpfung einfach in einem meiner beiden Schlafsäcke auf dem unebenen Waldboden, und schlafe überraschenderweise sogar gut, vielleicht weil das Rauschen der Stromschnellen so beruhigend wirkt.

Am letzten Tag geht es wieder 20 Flusskilometer zurück zum Ausgangsort. Bisher waren die Mücken noch zurückhaltend, in den nächsten Stunden stürzen sie sich aber auf die Schüler als hätten die „Vereinigten Mückenstaaten der kanadischen Kanu-Gruppe der Polyvalente Benoît-Vachon den Krieg erklärt“, berichtet Jonathan. Langsam nimmt die Landschaft wieder vertrautere Form an, in der sie sich auch während den ersten beiden Tagen präsentiert hatte: Der große See spiegelt die ihm umringenden Berge und Wälder wider, die Luft trägt den Duft trockener Pinien-Wälder zu den Schülern und ein leichtes Wasserrauschen und der Gesang der Vögel erfüllen die Ohren – und natürlich der noch immer singende Sportlehrer drei Kanus hinter Jonathan. Der ist noch immer bester Laune, denn drei Tage ohne Armbanduhr am Handgelenk, ohne Termine, ohne Computer und Facebook und ohne den ganzen Rest des Alltages in Verbindung mit einer mehr als sympathischen Reisegruppe und dem außergewöhnlich wundervollen Wetter in diesem Teil unberührter Natur hatten mehr als nur gut getan.

Mehr über Jonathans Austauschjahr kann man in seinem Blog nachlesen.