Nachdem ich mich Sonntag Abend zum wiederholten Male über die Vox-Sendung „Auf und davon“ geärgert habe, möchte ich dazu gerne ein paar Dinge schreiben. Dies wird etwas länger, tut mir leid, aber in drei Sätzen sind differenzierte Überlegungen nicht möglich.
Als Mutter zweier Kinder, die vor einem Monat von ihrem ATJ in Argentinien wiedergekommen sind, und als jemand, der selber lange dort gelebt hat und auch andere Länder in Südamerika kennt, war ich natürlich sehr gespannt, als ich hörte, dass es auch um 2 ATS gehen sollte, die in Costa Rica und Argentinien ihr ATS verbringen. Inzwischen bin ich nicht nur enttäuscht, sondern zunehmend verärgert.
- Zur Anlage der Sendung
Da wird alles miteinander vermischt: das klassische ATJ, Demi Pair, Au Pair, ATS und Au Pairs aus dem Ausland, die zu uns nach Deutschland kommen, 6 Monate, 12 Monate - alles dabei. Es fehlen eigentlich bloß noch die Work & Travel- Leute oder Leute, die im Ausland studieren (wollen) - aber wer weiß, vielleicht überrascht uns Vox damit auch noch. Dabei sind Alter, Motivation, Situation und Erwartungshaltung der Beteiligten in den verschiedenen Programmen so unterschiedlich, dass sich Vergleiche nur bedingt anbieten. (Wir haben selber nicht nur beide Kinder im Ausland gehabt und waren selber mehrfach Gastfamilie, sondern hatten auch, als unsere Kinder kleiner waren, Au Pairs.)
Natürlich kann (und soll) eine Sendung über verschiedene Möglichkeiten informieren, ins Ausland zu gehen. Aber genau das tut die Vox-Sendung ja gerade nicht – oder hat irgendjemand, der daran interessiert ist, schon Informationen bekommen, die über momentane, individuelle Befindlichkeiten einzelner Jugendlicher hinausgehen?
- Zur „continuity“
Die Qualität einer Sendung, die Geschichten erzählt, macht sich u. a. daran fest, ob die Geschichten Anfang und Ende haben und ob die wirklich wichtigen Begebenheiten erzählt werden. Das ist leider bei der Vox-Sendung nicht der Fall. Die beiden ATS erleben wir überdurchschnittlich oft in Ausflugssituationen. Die Bilder von den Iguazú-Wasserfällen und Tores Reaktion auf das Canopy werden ständig wieder gezeigt. Daniel aus Brasilien erleben wir überwiegend beim Flirten (passt gut ins Klischee), beim Sport und bei sonstigen Freizeitaktivitäten.
Das Hin- und Herspringen zwischen den verschiedenen Jugendlichen in ihren jeweiligen Ländern führt dazu, dass ständig dieselben Informationen wiederholt werden (wer aus welchem Ort ist gerade wo bei welcher Familie). Der Eindruck, der hier erweckt werden soll, ist: Du bist als Zuschauer quasi „live“ dabei. Das stimmt aber gar nicht, wie man spätestens merkt, wenn bei Au Pair Isabella in Washington D.C. plötzlich 5 (!) Monate einfach übersprungen werden (innerhalb einer Sendung), in denen sich ihre anfänglich schwierige Situation offensichtlich völlig verändert hat. Diese Veränderungen hat man leider nicht mitbekommen. Es wird also von den Machern eine Auswahl getroffen (logisch!). Die Frage ist nur: warum gerade diese?
Andere Geschichten werden gar nicht weitererzählt: Von dem Demi Pair in Toronto hat man in der letzten Sendung ebenso wenig erfahren wie von dem russischen Au Pair in Deutschland. Statt dessen ist eine neue Figur hinzugekommen – und ein neuer Kontinent (Australien).
- Zu den „locations“
Auch die Auswahl der Orte sagt etwas über die Qualität der Sendung aus: Ist eine gewisse Übertragbarkeit gewährleistet, vollziehen sich die Geschichten in typischen Orten? Auch hier: Fehlanzeige! Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, die Sendung werde von der Tourismusindustrie gesponsert. Wir sehen die Jugendlichen in London, Washington D.C. (und bekommen auch passenderweise ständig Bilder vom Weißen Haus und dem Privatpalast der Au-Pair-Familie), Toronto, Costa Rica (neben México das klassische Tourismusziel in Mittelamerika) und Iguazú – das absolute Tourismus-Highlight in Argentinien.
Ganz zufällig ist niemand in weniger prestigeträchtige Orte gekommen? Da haben Tausende Au Pairs und ATS ganz andere Erfahrungen gemacht, die in kleinen, unspektakulären Orten gelandet sind und manchmal darunter gelitten haben, dass so wenig los war. Und selbst die (relative) Nähe einer großen Stadt hilft vielen oft nicht, wenn sie 15 bis 20 km davon entfernt in einem kleinen Ort leben und die Busverbindungen miserabel sind.
Die Sendung blendet alles aus, was nicht ins Konzept passt: Zumindest für die beiden spanischsprachigen Länder sind das viele wichtige Bereiche der Realität, des Alltags. Von Puerto Iguazú, dem kleinen Städtchen, in dem Tore lebt, sehen wir wenig. Weil es dort außer Hotels, Souvenirläden und Restaurants nicht viel gibt? Puerto Iguazú ist ein Grenzkaff, das vom und für den Tourismus lebt und früher bettelarm war, nicht hässlicher als andere Orte in Dritt-Welt-Ländern, aber eben auch nicht erwähnenswert. Ohne die Wasserfälle (15 km entfernt) würde sich kein Mensch dorthin verirren.
Und Hanna in Costa Rica ist ganz entsetzt über die vergitterten Fenster ihrer Schule, die sie überdies gar nicht unbedingt aufnehmen will? Wem will Vox hier in reißerischer Weise etwas vormachen? Der Schulplatz ist schon klar, bevor der ATS ausreist, das hat die Organisation im Vorfeld geregelt. Meist gehen die ATS in dieselbe Schule wie die Kinder der Gastfamilie. Gitter an den Fenstern sind in Dritt-Welt-Ländern normal. Wenn es keine gibt, dann deshalb, weil das Gebäude (Schule oder Privathaus) auf einem Gelände steht, das als ganzes von hohen Mauern umgeben ist, die oben Stacheldraht haben, und um das außerdem Wächter von privaten Firmen patrouillieren. Klar, das passt nicht ins Bild vom „sichersten Land in Mittelamerika“ und könnte potenzielle Touristen abschrecken.
- Fazit
Brauchbare Informationen zu den verschiedenen Programmen gibt die Vox-Sendung nicht. Als Erfahrungsbericht taugt sie wenig, weil die Auswahl nicht übertragbar ist und viele wichtige Dinge ausgeblendet werden. Statt dessen wird in reißerischer Weise versucht, die Zuschauer „bei der Stange“ zu halten („Schafft es Hanna, ihre Gastfamilie von einer anderen Schule zu überzeugen? Weiter nach der Werbung.“ „Vorzeitiger Abbruch des Austauschjahres für Tore? Sehen Sie die nächste Folge…“).
Wer die Sendung trotzdem guckt, sollte dies sehr kritisch tun, eher weniger als mehr glauben, sich nicht von den schönen Landschaftsbildern beeindrucken lassen und zusätzliche Informationen einholen. Auf gar keinen Fall aber sollte sich jemand ausschließlich auf Grund dieser Sendung dazu entschließen, in das eine oder andere Land zu gehen!!!
Jeder/m, der sich bei Vox bewerben möchte, kann ich nur raten, sich dies sehr genau zu überlegen und evtl. einen Anwalt zu fragen, bevor man einen Vertrag unterschreibt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Beteiligten ein Mitspracherecht haben, was die gezeigten Szenen betrifft. Oder sollte es Isabella egal sein, wenn vor einem Millionenpublikum gezeigt wird, wie sie zwei kleine Kinder anschreit, weil sie am Anfang (heimwehkrank und der Sprache nicht wirklich mächtig) mit der neuen Situation völlig überfordert ist?
Meine Kinder haben es jedenfalls genervt aufgegeben, die Sendung zu gucken: „So ist ein ATJ in Argentinien nicht“. „Sollen sie doch gleich Vox-Tours zeigen.“
Schade, das Thema ist so wichtig und würde es verdienen, dass sich ein Sender ernsthaft damit befasst.
Sabine