Abschied

Ein ehemaliger Austauschschüler aus Deutschland, denkt an den Abschied von seiner Familie.

Eine Verabschiedung auf Dauer hat die schlimme Eigenschaft, Löcher in das Leben der Menschen zu reißen. Vor allem in die Leben der Daheimgebliebenen. Bei mir ist das so gewesen und wenn ich an meinen Abschied am Flughafen denke... Meine Mutter hat mich ein bißchen gedrückt, andauernd mein Gepäck kontrolliert und ihr Gesicht hat den wirklich ernsthaften Versuch unternommen, so lange im Zustand des Lächelns zu verbleiben, bis ich hinter den Absperrungen verschwunden war. Es hat nicht ganz geklappt. Dafür bin ich ihr heute noch dankbar. Und ich werde ihr auch nicht vergessen, mir meine Aufregung nachzusehen, die es mir damals unmöglich machte, ihren inneren Aufruhr um den befürchteten Verlust zu bemerken. Himmel war ich aufgeregt. Ich schaute in die Zukunft. Der Blick zur Seite und nach hinten kam später, viel später.

Nach dem Austauschjahr erzählte mir meine Schwester, wie schwer es ihr manchmal gefallen ist, den ursprünglich auf zwei Kinder verteilten Sonnenschein mütterlicher Zuneigung nun auf die eigene Person konzentriert zu sehen. Wie schwer wird es da erst für Mütter sein, die sich von ihrem einzigen Kind verabschieden? Da hilft der Gedanke an und das Wissen um die kommende Rückkehr wenig. Er hilft wenig im Moment des Abschieds, noch weniger an Geburtstagen und zu Weihnachten auch nicht. Im Gegenteil, er reißt sogar neue kleine Wunden in den vorübergehend und notdürftig gewebten Flickenteppich der Gefühle und erinnert daran, daß sich darunter immer noch das Loch befindet. Und daran, daß Tochter oder Sohn noch Monate entfernt sind.

Die Familie ist ein kleiner Organismus, der zu Beginn des Austauschjahres einer Amputation unterzogen wird. Die Familie bemerkt den Verlust sogleich, ein Austauschschüler zumeist später und manchmal auch gar nicht. Ich bin meiner Familie dankbar, erstens für das Ertragen des Lebens mit mir und zweitens für das Ertragen des Lebens ohne mich.