ADIA - Anderer Dienst im Ausland

"Das ist aber die schönste Sache, die mir hier passiert ist: Ich weiß endlich, was ich werden möchte." Der Bericht eines Ersatzdienstleistenden, der mit Hilfe von ADIA seiner Arbeit in Kanada nachgeht.

Bericht nach acht Monaten

R., P., S., C. und T.; das sind die fünf Bewohner “meines” Foyers.

Der Jüngste von allen ist R. er ist jetzt 33 Jahre alt und hat das sog. Williamssyndrom. Dadurch ist R. sehr anhänglich und betrachtet fast jeden (besonders schöne Frauen), den/die er zumindest zweimal gesehen hat als Freund/in.

Er verbringt ein Wochenende pro Monat bei seiner Schwester, da seine Mutter in Toronto (ca. 6h mit dem Auto) und sein Vater in P.borough (ca. 200 km) leben. Er ist ein Junkfoodsüchtiger. Er mag Donuts, Chips, Pommes Frites etc. ueber alles, weshalb ihm das Essen, das wir hier machen (besonders meine vegetarische Kueche), nicht unbedingt immer schmeckt...

Für ihn ist das Jahr in Abschnitte eingeteilt. Valentinstag, St. Patrick’s Day, Ostern, Sommerferien (Urlaub), Halloween, Weihnachten und sein Geburtstag (25. 12.) Sind die markanten Punkte in die sich das Jahr gliedert.

R. ist normalerweise immer sehr nett und warmherzig aber wenn er wütend ist kennt er auch eine Menge Schimpfwörter, um sich auszudrücken. Seine Muttersprache ist Englisch. Er versteht aber auch recht gut französisch und manchmal vermischt er auch beide Sprachen.

P., der zweitjüngste Bewohner meines Foyers (Geburtstag 1966). Er hat Trisomie und braucht am meisten Hilfe von allen. Er kann sich nicht alleine waschen, kann nicht alleine zur Toilette, kann nicht reden (nur ein paar Worte) und braucht Hilfe beim anziehen und Essen. Zusätzlich muß er drei Mal pro Woche zur Dialyse und hat einen Katheder (für Urin).

Aber P. ist fast immer fröhlich. Er ist unglaublich, wenn er sein Video (Speed) guckt oder die Beatles hört, dann hat er das größte Lachen auf dem Gesicht. P. mag es auch sehr im Haus zu helfen. Er kann Stunden vor dem Radio verbringen, aber er ist auch glücklich, wenn wir was unternehmen, auch wenn man erst auf ihn einreden muß.

Natürlich liebt P. es, seinen Vater und seine Schwester zu sehen, immer wenn er das möchte sagt er “two weeks, two weeks”, leider muß ich ihn dann meistens vertrösten, da auch er nur einmal im Monat seinen Vater sieht.

S., sicherlich nicht die Einfachste, und die ersten zwei Monate haben wir zwar zusammen gewohnt, aber mehr auch nicht. Mittlerweile mag mich S. aber sehr, ist gar ein kleines bißchen fixiert.

Sie mag keine größeren Gruppen und wird manchmal aggressiv, auch wenn sie klein ist, kann sie mit einer ihren Krisen (schreien, um sich schlagen, mit Gegenständen werfen...) einen ganz schön erschrecken, aber auch sich selbst verletzten. Aber die Assistenten, die schon lange hier sind, sagen, daß ihre Krisen abgenommen haben. Aber falls sie eine Krise hat, hat das meistens auch einen konkreten Grund, so daß man ab dann halt besser aufpaßt. Sie nimmt auch Medikamente deswegen. Die sind hier (bei der Arche) aber recht umstritten, da das eigentlich Epilepsiemedikamente sind. Zum Gluck bin ich kein Arzt und hab’ auch nicht viel Erfahrung, so daß ich mich da nicht einmischen brauche.

Ein Grund für eine Krise, wäre z.B. wenn man versucht ihr ihre Wolle wegzunehmen. Sie spielt immer mit Wolle und das ist ihr heilig. Wenn ein Stück Wolle “zuende gespielt ist” dann wirft sie es in die Toilette. Auch da darf man sich unter keinen Umständen einmischen. Leider ist deshalb auch die Toilette sehr häufig verstopft und auch der Revisionsschacht dürfte bis oben hin voll sein. Aber das sehen die hier nicht so eng, auch wenn vor ca. 5 Jahren schon mal der Keller mit ekelhaftem Wasser überflutet war.

Aber S. besteht natürlich nicht nur aus Krisen, sie lacht gerne, mag es auszugehen (in kleinen Gruppen) und weiß oft nicht, ob sie die große Dame oder das kleine Mädchen ist.

Leider hat S. mit ihren Eltern schon seit frühester Kindheit keinen Kontakt mehr und hat ihr ganzes Leben lang in Institutionen (Anstalten) gewohnt bis sie zur Arche kam.

Die zweitälteste Bewohnerin meines Foyers ist C.. Sie ist 47 Jahre alt und eine der autonomeren Bewohner. Sie braucht keine Hilfe beim duschen oder Zähne putzen etc. Sie kann auch die Uhr lesen, sowie einen Kalender benutzen um alles zu planen.

Schwierigkeiten hat sie beim Reden. Es ist sehr schwer sie zu verstehen, sie stottert und sagt oft nur ein Wort, aus dem man dann einen ganzen Satz ableiten muß. Aber das hält sie nicht davon ab sehr viel zu reden, auch wenn es sicher sehr ermüdend ist, wenn sie alles mehrere Male wiederholen muß. Man kann aber auch sehr gut mit ihr scherzen und sie versteht Ironie besser als die meisten “normalen” Kanadier...

Das, was einem sicherlich ganz am Anfang auffällt, ist, daß sie sehr viel weint. Sie weint, wenn sie traurig ist, wenn sie froh ist, wenn sie gelangweilt ist; kurz: immer wenn sie nicht weiß, wie sie reagieren soll oder wenn die Emotionen zu stark werden.

Sie langweilt sich sehr schnell und wenn sie dann nichts zu tun hat, würde sie gerne ständig fernsehen. Das Problem damit ist nur, das sie a) alles (“jeden Mist”) guckt und b) immer “richtig mitgeht”, d.h. sobald es etwas traurig wird weint.

C. ist “francophone”, versteht aber auch Englisch, da ihre Mutter englischsprachig war. Sie sieht ihren Vater und ihre Stiefmutter (ihre Mutter ist gestorben), die sie sehr mag, einmal im Monat.

T. ist unser ältester Bewohner. Alle Haare weiß oder grau (vorher waren sie dunkelbraun) - 54 Jahre alt. Er hat ein sehr gutes Rythmusgefühl und bei jeder unserer Gemeinschaftsfeiern (Essen, Messen) spielt er Trommel, da auch immer einer Gitarre spielt. T. spricht französisch, leider immer viel zu leise und wenn man ihn bittet es noch einmal zu sagen, wird er leicht wütend. Aber T. ist auch lustig und seine Welt ist die Musik und (Eis-) Hockey. Wenn man singt, oder Musik im Radio lauft dann trommelt er fast immer mit. Er guckt sich jedes Hockeyspiel im Fernsehen an. Natürlich mag er besonders die “Canadiens de Montreal”, wenn die spielen, zieht er immer einen seiner reichlichen Canadiens-Pullover an.

Eine seiner “Macken” die einem sofort auffällt ist, daß er Kitsch über alles mag. Er hat sein Zimmer voll mit rosa Keramikkatzen, regenbogenfarbigen Pferden etc. ... Aber er hat neue Möbel für sein Zimmer bekommen und wir haben ein bißchen aufgeräumt in seinem Zimmer. Jetzt stehen weniger Kitschobjekte auf schöneren Möbeln. Er hat sich sehr über die Möbel gefreut.

T.s Eltern wohnen in einem Vorort von Montreal, doch T. sieht sie nur recht selten - so alle 2 bis 3 Monate. Aber dann freut er sich natürlich immer.

Das sind die fünf Bewohner meines Foyers. Die Beschreibungen sind natürlich weit davon entfernt, komplett zu sein, aber sie geben einen recht guten Einblick (hoffe ich...) in meine Welt. Man kann sagen, daß die Bewohner alle sehr gut mit einander auskommen, was nicht unbedingt selbstverständlich ist. In anderen Foyers gibt es schon sehr schwere Krisen, weil sich die Bewohner nicht gut verstehen. Da hab ich also Gluck gehabt.

Erstaunlich ist, daß viele Behinderte bei der Arche zwei Sprachen (Englisch, Französisch) sprechen oder zumindest verstehen.

Jetzt noch zu den Sachen, die nicht so gut laufen:

Zwei Betreuer mit denen ich seit meiner Ankunft hier gelebt/gearbeitet hatte sind beide nicht mehr da. Eine (mit der ich mich sehr gut verstanden hatte) ist zurück nach Frankreich gegangen und der andere hat ein anderes Foyer in einem Vorort wiedereröffnet.

Was mich an den Meetings stört, ist daß immer gebetet wird. Damit an sich habe ich ja kein Problem. Aber wie das hier gemacht wird, ist schon ein wenig anstrengend. Nach einem kurzen Gebet können/sollten alle (die was “teilen” wollen) sich zu Wort melden. Hier gibt es einige Menschen, die hören sich unwahrscheinlich gerne reden. Natürlich muß dann ja auch alles mehrfach erwähnt werden.

Meine Arbeit beschränkt sich aber nicht nur auf das Foyer. Samstag z.B. ist eine Gemeinschaftsfeier, zu der auch eine andere Gemeinschaft (L’Arche Beloeil - ein Vorort) kommen wird. Ich bin der große Organisator dieser Feier. Es gibt recht häufig irgendwelche Treffen (Essen, Messen), von denen ich auch schon mehrere (mit-)organisiert habe.

Ein 8-Personen Haushalt, ein großes Haus und dieser “Alles-geben-community-lifestyle” sind schon viel Arbeit. Wir beziehen die Bewohner natürlich da wo es geht ein (Putzen, Wäsche waschen, Kochen etc.), aber das Gros der Arbeit verrichten meine Co-Betreuerin und ich.

Hinzu kommt, daß sie Wochentags von 9 bis 15 Uhr einen Französischkurs besucht. Natürlich eine gute Idee, aber 5 Tage die Woche (für 10 Monate) ist schon ein Bißchen viel (finde ich). Aber sie nimmt trotzdem sehr viel Arbeit auf sich.

Die Tage sind auch sehr lang, von morgens 6.30 Uhr bis abends ungefähr 20.30 Uhr (Pause von 12 bis 15 Uhr), aber dafür vergeht die Zeit dich sehr schnell. Schon 8 Monate, unglaublich.

Da die Tage so lang sind, ist es auch recht schwer Leute kennenzulernen. Ich kenne zwar einige, aber es ist schon schwer, mit denen in Kontakt zu bleiben, da einem ja nicht all zu viel Zeit bleibt und man die Wochenenden arbeitet (bis auf eins pro Monat). Und unter der Woche ist es schwieriger Parties zu finden. Jeder betont zwar immer, wie wichtig Freunde außerhalb der Arche sind, aber man sollte auch nicht zu viele davon haben. Man muß sich ja immer auf die Arbeit konzentrieren können.

Über mein Studium haben sich meine Eltern ein bißchen für mich informiert (sie haben mir den Studienführer geschickt), und ich mach das übers Internet.

Das ist aber die schönste Sache, die mir hier passiert ist: Ich weiß endlich, was ich werden möchte. Na ja, erstmal, was ich studieren mochte: Sonderpädagogik (für geistig Behinderte). Da hatte ich vorher überhaupt nicht dran gedacht. Aber hier hat es mich erwischt. Die Arbeit mit den “aufgenommenen Personen” (personnes acceullis) macht mir Spaß. Nur die Arche wird nicht so mein Ding. Schön wäre es in einer Werkstatt oder ähnliches. Das nur, um euch zu sagen, daß ich hier nicht in Unglück versinke.

Dann schon eher in Arbeit...