Ich habe zu meinem Nein gefunden.

2008 nahm die heute 21jährige Kulturarbeitstudentin Sarah an einem zweijährigen internationalen Abitur an einem College im Swasiland teil. Sie hatte sich ein Jahr lang gut vorbereitet. Die Bewerbung war umfangreich und aufwendig gewesen; Freunde und Verwandte beteiligten sich an der Finanzierung und Sarah erhielt sogar ein umfangreiches Stipendium. Doch dann kam alles anders. Denn die Reise von Deutschland ins Swasiland ist nicht nur lang, für Sarah hielt sie zudem einen harten und unerwarteten Kulturschock bereit. Nach 6 Wochen brach Sarah den Aufenthalt ab und flog zurück nach Deutschland. Im folgenden Interview wollte ausgetauscht von ihr wissen, wie es dazu kam, welche Konsequenzen sich daraus ergeben haben und wie sie damit umgegangen ist.

Was hat dich damals bewogen, dich für dieses Programm zu bewerben?

Ich glaube, ich hab mich für Afrika aus idealistischen Gründen entschieden. Ich wollte da was verändern und ich fand das interessanter, als in irgend so ein "heiles" Land zu gehen, wo alles schön ist. Ich war neugierig auf den Kontrast und da war vielleicht auch eine Sehnsucht nach etwas Neuem. Auch weil ich zu Afrika immer schon so ein bisschen eine Beziehung hatte und ich fand die Idee gut, mit Waisenkindern arbeiten zu können. Naja, so hab ich mir das damals zumindest vorgestellt.

Hattest du denn vor der Reise schon erste Zweifel?

Komischerweise überhaupt nicht. Also ich glaube, man kann sich auch einfach nicht vorstellen, was zwei Jahre bedeuten. Der Mensch denkt einfach in Tagen und in Wochen.

Was war Dein erster Eindruck?

Ich kam im College an und habe sogar eines von den besseren Cubis bekommen. Das waren so 5-8 Quadratmeter große Räume und viele mussten die sich sogar teilen. Ich hatte das Glück in so einen neueren Gebäudeabschnitt zu kommen. Dann saß ich da in diesem 8qm großen Raum mit meiner Tasche und dachte: OK, jetzt bin ich in Afrika und es fühlt sich überhaupt nicht gut an. Und gleichzeitig war da auch dieser innere Konflikt, den ich immer hatte. Ich hatte ja darauf hingearbeitet: Ich war bei dem Auswahlverfahren, habe diesen Intelligenztest und alles Mögliche gemacht, um dieses Stipendium zu bekommen. Großes Trara halt; aber auf einmal hat mir dieser Gedanke, dass ich im Mittelpunkt von irgendeinem idealistischen Weg stehe, überhaupt nicht mehr gefallen. Dass meine Familie und Freunde so hinter mir gestanden haben, war natürlich auch ein Problem gewesen. Ein immenser Druck, den ich mir von Außen habe auferlegen lassen, den ich auch so angenommen habe, weil ich dachte, ich bin stark genug. Dann saß ich mit einem Mal da und dachte, nein, vielleicht will ich das alles gar nicht.

Wie gestaltete sich dort dein Alltag?

Wir hatten dann gleich direkt Schule und der Unterricht war logischerweise komplett auf Englisch. Was am Anfang auch sehr schwierig war, besonders Mathe, das leider nicht so mein Fach ist. (...) Dann gab’s natürlich die Essenspausen, wo alle in der Mensa waren, aber das Essen war nicht so lecker; sehr fettig und sehr ungesund fand ich. Aber ich habe jeden Tag unten am Straßenrand eine Mango gekauft, weil die da so super lecker sind. Dieses Ritual hat mir sehr geholfen und ist bis heute auch eine sehr schöne Erinnerung an die Zeit. Das vermisse ich und ich weiß nicht, ob ich diesen Geschmack so noch mal finde.

Was denkst Du, war damals die Hauptursache für deinen Abbruch des Programms?

Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet, was mich da kulturell erwartet. Ich meine, ich bin ein Berliner Großstadtmädchen, das mit 16 schon bis zwei Uhr nachts unterwegs war und sich keine Platte machen musste, was Sicherheit bedeutet. Ich kam an diese Schule und auf einmal merkte ich, ich bin hier in einem großen Apparat, in dem vieles verboten ist, in dem ab 22 Uhr einfach jeder auf seinem Zimmer zu sein hat, wo abends die Tür abgeschlossen wird und man sich wie in einem goldenen Käfig fühlt. Was von dem College aufgrund der hohen HIV-Rate in Swasiland durchaus berechtigt sein mag, um die Schüler "zu schützen". (...) Gleichzeitig wurde ich ja auch von einem Kamerateam der Sendung "auf und davon" begleitet, was auch seinen Teil dazu beigetragen hat. Die Begleitung des Kamerateams hat erste Kontakte zusätzlich erschwert und mich ungewollt in einen großen Aufmerksamkeitsfokus gestellt. Ich wurde zu einer Rollenfigur. Also ich hab das mitgemacht, aber gleichzeitig mich nicht wohl dabei gefühlt. Ich will das nicht allein auf dieses Kamerateam schieben, aber es war eine Inszenierung und ich konnte mich gar nicht fallen lassen.

Und vor Ort gab es da jemanden, mit dem du darüber sprechen konntest?

Ja! Ich habe mich mit anderen Schülern ausgetauscht, die meinten, dass Heimweh und auch der Kulturschock in der ersten Zeit normal seien, dass man eben diese Zweifel hat. Aber trotzdem habe ich gesehen, dass andere mit dieser Situation besser umgehen konnten. Viele der Schüler haben sich sofort darauf eingelassen und ihre Freunde gefunden, aber das ging bei mir nicht. Ich hatte da eine innere Sperre.

Und wie verlief dann der Entscheidungsprozess für den Abbruch?

Ich erinnere mich an die Gespräche mit meiner Mutter, wo ich sehr verzweifelt war. Sie hat versucht, mich zu beruhigen und es war ein komischer Gedanke zu wissen, dass sie so krass weit weg ist. Dass dieser sonst so gewohnte Umkreis, den ich anscheinend doch mehr brauche, als ich dachte, dass der weg bricht. Meine Mutter hat das immer sehr vernünftig und neutral beleuchtet, auch dass ich dem Zeit geben soll. Ich habe mich schlecht gefühlt, einfach weil so viele Leute Erwartungen in mich gesteckt und mich unterstützt haben, nicht nur finanziell, sondern auch mental. Ich kam mir ein bisschen lächerlich vor, wenn ich jetzt nach einem Monat zurückgehe. Das war einfach kein schöner Gedanke. Aber gleichzeitig war ich mir bewusst, dass ich das nicht machen kann, um Leute nicht zu enttäuschen, sondern ich muss das machen, was für mich richtig ist. Trotzdem bin ich im Nachhinein stolz darauf, dass ich mein NEIN gefunden habe, auch wenn es vielleicht überstürzt war und selbst wenn ich vielleicht 3 oder 4 Jahre später anders entschieden hätte.

Was hättest du aus heutiger Sicht anders gemacht?

Ich muss sagen, dass ich mich auf diesen Kulturschock nicht gut genug vorbereitet gefühlt habe. Im Nachhinein hatte ich noch einen Briefwechsel mit der Organisation, der ich meinen Abbruch begründen musste. Da gab es natürlich Ärger, denn ich hatte ein sehr hohes Stipendium erhalten. Das war keine einfache Geschichte, weil es immer Abbrecher gibt und wahrscheinlich auch eher in Ländern, die extremer sind. Mir hat jedoch dieses Bewusstsein gefehlt, was extrem bedeutet. Mit dem Thema Heimweh habe ich mich nicht wirklich auseinandergesetzt, ich kann mich auch nicht erinnern, dass wir wirklich Kurse in der Vorbereitungszeit dazu hatten. Doch selbst wenn es gesagt worden wäre, hätte es wahrscheinlich gar nichts an meiner überschwänglichen Motivation geändert.

Was würdest du Austauschschülern raten, die solch ein Problem durchstehen müssen, Heimweh erleben oder sogar abbrechen wollen?

Es ist ein Unterschied, entweder will ich reisen oder ich will erleben, wie andere leben - aber dann auch mit allen Höhen und Tiefen. Man sollte nicht unterschätzen, dass bei aller Toleranz, Lebenslust und Neugierde, die man glaubt, leben zu können oder die man denkt, in sich zu tragen, dass man nicht vergisst: Neugierde ist etwas Momentanes. Irgendwo für längere Zeit zu leben, bedeutet etwas anderes, als es auf eine Reise für einen kurzen Augenblick zu erfahren. Es kann helfen, wenn man sich bewusst macht, dass man im Jetzt lebt und dass sich das Leben nicht auf irgendwelchen social network Seiten abspielt – man sollte sich eher auf das konzentrieren, was man selbst in diesem Augenblick erlebt und dankbar für die Augenblicke sein, die man fernab von seiner Routinewelt erleben kann.

weiterer Artikel: Im Artikel Ausgerechnet Swasiland erzählt Sarahs Mutter über den Programmabbruch ihrer Tochter.